Aggression (Quelle: Dr.Feddersen-Petersen, Dr.Killmann, Tierschutzbund)

 

Der Begriff „Aggression" leitet sich von dem lateinischen Verb „aggredi" ab. Dieses Wort bedeutete nicht nur „angreifen" im Sinne einer Kampfhandlung, sondern außerdem auch ganz allgemein „an etwas herangehen", „etwas unternehmen". Verschiedene Verhaltensforscher haben zudem auf die Wortwurzeln „gradus" = „Schritt" und „gradior" = „Schreiten" hingewiesen. Diese eher friedlichen Bedeutungen der Aggression sind uns auch noch in Redewendungen wie „etwas in Angriff nehmen" erhalten geblieben. Die Terminologie legt also bereits nahe, dass es sich bei dem Begriff „Aggression" funktionell um ein Durchsetzen von Bedürfnissen handelt.

Um die biologische Bedeutung des Phänomens Aggression verstehen zu können, ist es erforderlich, ein grundlegendes Handlungsprinzip von Lebewesen zu kennen:

„Schütze Dich einerseits gegen schädliche Einflüsse aus der Umwelt, aber erschließe Dir die Umwelt andererseits auch aktiv, damit Du überlebst und Dich weitervererben kannst".

Bereits auf niedrigem Evolutionsniveau ist dieses Prinzip realisiert. So können sich viele Einzeller in ungünstigem Milieu abkapseln und ihre Aktivität nahezu einstellen, in günstiger Umgebung jedoch werden sie wieder aktiv und verändern ihre Position, um Nahrungsquellen aufzusuchen. Auf dem hohen Entwicklungsniveau, das der Hund erreicht hat, erscheint das Ge-samtverhalten erheblich differenzierter, doch es gilt genau das gleiche Überlebensprinzip: Jedes Individuum ist mit ererbten Handlungsprogrammen ausgestattet. Wir bezeichnen sie als Instinkte. Diese Antriebssysteme ermöglichen es dem einzelnen Tier, sich auf subtile, artspezifische, biologisch sinnvolle Weise und, wenn erforderlich, auch durch Kampf, vor Beschädigung zu schützen. Darüber hinaus befähigen diese Erbprogramme das Tier aber vor allem, expansiv zu agieren und sich aktiv einen ausreichend großen Lebensraum zu sichern, Denn nur so ist es möglich, bspw. den Bedarf nach Nahrung zu stillen und einen geeigneten Sexualpartner aufzufinden, Dass nun aber expansives Verhalten praktisch nie ganz widerstandslos vonstatten geht, ist jedem von uns bekannt. Im natürlichen Umfeld können sich dem Tier Fressfeinde in den Weg stellen, die vertrieben oder notfalls sogar getötet werden müssen, damit es nicht selbst zum Opfer wird. Konkurrenten um die Rangposition und um das Futter, Rivalen um die Gunst des auserwählten Sexualpartners müssen in die Schranken gewiesen, unterworfen bzw. verdrängt werden und der Widerstand einer wehrhaften Beute muss überwunden werden, bevor sie verzehrt werden kann. Schließlich geht es um die Verteidigung von Besitz, Nachkommenschaft und sozialen Bindungen.

Gemeinsam ist all diesen Situationen, dass sich dem Individuum auf dem Weg zur Erreichung lebens- bzw. arterhaltender Triebziele Widerstände in den Weg stellen. Der Psychologe spricht von Frustrationen bzw. im speziellen Fall von Konfliktsituationen. Genau dann wird typischerweise vom intakten Organismus aggressives Verhalten mobilisiert, mit dem Ziel, diese Hindernisse zu überwinden. Ziel biologisch sinnvoller Aggression ist es dabei primär keineswegs, einen Gegner oder Konkurrenten zu verletzen oder gar zu töten. Vielmehr steht ein ganzes Repertoire ererbter Verhaltensweisen zur Verfügung, die aggressive Auseinandersetzungen minutiös derart regeln, dass Beschädigungen der Kontrahenten möglichst vermieden werden. So hat der Schwächere die Möglichkeit der Defensive und Flucht, denn ein Organismus darf nicht nur als Kämpfer auftreten können. Dem Unterlegenen bietet sich die Möglichkeit des Beschwichtigungsverhaltens und der Unterwerfung, die, jedem Hundebesitzer bekannt, bei intaktem Instinktverhalten sofortige Beißhemmung beim Überlegenen auslöst. Vor allem lehren uns aber die allbekannten ritualisierte Zweikämpfe zwischen vergleichbar starken Konkurrenten, dass es offenbar in der Evolution -sinnvollerweise - einen hohen Selektionsdruck auf Entwicklungen gegeben hat, die Beschädigungskämpfe verhindern:

der Sieger wird durch Drohgebärden, Imponiergehabe und, wenn es wirklich dazu kommt, nach strengen Kampfregeln ermittelt.

Zweifelsohne hat also der ritualisierte, detailliert geregelte Kampf ebenso wie die entsprechende Instinkthandlung im „natürlichen" Kontext eine sog. karthatische Wirkung, indem die aufgerufenen Triebenergien aufgezehrt oder zumindest merklich abgeschwächt werden.

 

Mögliche Ursachen aggressiven Verhaltens bei Hunden

 

Grundsätzliches

 

Das Verhalten des Hundes wird bestimmt durch die im Erbgut festgelegten Verhaltensweisen und die vielfältigen Erfahrungen, die der Hund als Rudeltier im Laufe seiner Jugendentwicklung mit seinen Sozialpartnern macht. Die Sozialpartner sind zu-nächst seine Mutter und die Wurfgeschwister, dann die Familie, in die er aufgenommen wird und nicht zuletzt andere Hunde und Menschen, denen er begegnet. Für den Hund als ältestes Haustier ist "sein" Mensch der wichtigste Sozialisationspartner. Sucht man also nach Ursachen für hundliches Verhalten, müssen neben erblichen Voraussetzungen der Mensch und die Bedingungen, die der Mensch für die Verhaltensentwicklung und -äußerung eines Hundes bereitstellt, mit einbezogen werden.

Die Bereitschaft zu aggressivem Verhalten in sozialen Auseinandersetzungen und als Mittel der Verteidigung bei Angriffen anderer gehört zum Wesen eines jeden Hundes. Doch der normale und richtig erzogene Hund hat frühzeitig ge-lernt, dass aggressive Verhaltensweisen dem Sozialpartner Mensch gegenüber nicht erlaubt sind.

Ein aggressiver Hund befindet sich in einer spezifischen Motivationslage, die von etlichen endogenen und exogenen Faktoren beeinflußt ist. Sein beobachtbares Verhalten ist Ausdruck oder Indikator für den so differenziert wechselseitig beeinflußbaren inneren Zustand des Tieres - in einer ganz bestimmten Situation. Sein Ausdrucksverhalten kennzeichnet somit seine Motivation wie Emotion und seine Intention. Imponierverhalten und andere Elemente der ritualisierten Agonistik, des Kommentkampfes, sind durch Selektionsdruck im Laufe der Evolution als ausgesprochen arttypische Gesten und etwa mimische Elemente entstanden, die grundsätzlich bei Haushunden wiederzufinden sind, wenn auch z.T. vergröbert oder weniger graduiert. So wird durch eine m.o.w. differenzierte Kommunikation das Gros der Rangstreitigkeiten unblutig beigelegt - es wird nicht zugebissen. bleibt vielmehr dabei, daß Intentionsbewegungen, Stimmungsbewegungen, Andeutungsbewegungen zum Kämpfen (oder Beißen) gezeigt werden (Zähneblecken, Maulaufreissen), die im Verlaufe der stamesgeschichtlichen Entwicklung zu Drohsignalen ritualisiert wurden. So entwickelte sich ein differenziertes Ausdruckssystem, das u.a. dem Austragen von Konflikten im Sinne einer positiven Kosten-Nutzen-Rechnung diente. Kämpfen verursacht Kosten, da Energieaufwand und das Risiko, starke Verletzungen davonzutragen, groß sind. Über ritualisiertes Verhalten, so auch im Bereich des Drohens, werden Hunde auch für Menschen einschätzbar.

Drohen ist ein funktionaler Begriff, der somit im Hinblick auf seine Wirkung definiert werden muß. Drohungen bei Hunden, die ja in individualisierten Verbänden leben, führen oft lediglich zu einer Hemmung des Empfängers. Es ist somit eine Signalhandlung, die beim Empfänger häufiger als zufällig zu erwarten zu einer Hemmung führt, d.h. eine ausgeführte Verhaltensweise wird beendet oder verlangsamt. Die typische Hemmung ist die Hemmung einer Annäherung. Seitens des Senders folgt einer Drohung nur dann, wenn der Empfänger nicht gehemmt wird (s. Sequenz 1 wölfischen Verhaltens, das grundsätzlich auch für Hunde gilt), häufiger als zu erwarten wäre eine Eskalation, d.h. ein gehemmter oder ungehemmter Angriff, der zu einer Beschädigung des Angegriffenen fuhren kann (Beschädigungskampf, Beschädigungsbeißen, nichtritualisierter Ernstkampf). Diese ist aber selten.

Zu den optischen Drohelementen gehört weiter der Gesamtausdruck des Körpers und insbesondere des Kopfes. Körperhaltung, Orientierung auf den Gegner, die Ohrenstellung, das Runzeln des Nasenrückens, der Blick und die Art der Maulöffnung sind hier wichtige Merkmale. Für den Kopf des Wolfes wurden 12 Ausdrucksregionen und bei adulten Tieren durch unterschiedliche Signalkombinationen etwa 60 verschiedene Gesichter analysiert (FEDDERSEN - PETERSEN 1995). Hinzu kommen noch Intensitätsabstufungen, die weitere Verfeinerungen in der (gerade auch aggressiven) Kommunikation erlauben (s. Sequenz II wölfischer Drohintensitäten).

Bei Haushunden gibt es je nach dem Exterieur ihrer Rassezugehörigkeit zwar Einbußen dieser Komplexität - das Prinzip der aggressiven Kommunikation wird jedoch gewahrt. Dessen Funktion ist Konfliktlösung und Kommpetition (Wettstreit um soziale Vorrechte z.B.) möglichst ohne Verletzung.

Bei Wölfen und Hunden gibt es mehrere Stufen der Eskalation von der Drohung bis zur ungehemmten Beschädigung:

I. Drohungen ohne Körperkontakt

Stufe 1: Distanzdrohung Fixieren, Zähneblecken, Maulaufreissen

Stufe 2: Distanzunterschreitung mit gelegentlichem Körperkontakt:

Beißerei, intentionales Beißen, Abwehrschnappen

II: Körperkontakt

Stufe 3: Drohungen mit Körperkontakt: Ober-die-Schnauze-Beißen,

Ringkampf

Stufe 4: Körperkontakt mit Einschränkung der Bewegungsfreiheit:

Queraufreiten, Über-dem-Gegner-Stehen, Runterdrücken, Schieben. Abwehr auf dem Rücken. Abwehrstoßen

III: Beschädigung

Stufe 5: Gehemmte Beschädigung Anrempeln, Vorstoßen, Anspringen, gehemmtes Abwehrbeißen, gehemmtes Beißen

Stufe 6: Ungehemmte Beschädigung Beißen, Beißschütteln.

Dem Kampf- oder Beißspiel liegen andere Motivationen zugrunde, es ist durch sog. Signalübertreibung oder Bewegungsluxus leicht als Sozialspiel zu erkennen. Aggressives Verhalten kann also im Dienste einer ganzen Reihe von Funktionskreisen ste-hen, ohne selbst im engeren Sinne ein solcher zu sein, unterliegt somit verschiedensten Auslöse- und Antriebsmechanismen und ist in sehr unterschiedlicher Weise stammes- und individualgeschichtlich angepasst. Die einzelnen Formen der Aggression werden aus diversen Motivationen und Emotionen gespeist - einen eigenständigen, einheitlichen Aggressionstrieb gibt es, wie wir heute wissen, nicht.

Aggressiv im negativen und gefährlichen Sinn ist ein Hund immer dann, wenn er dies nicht gelernt hat, wenn er undifferenziert oder fehlerhaft Situationen als Gefahr einschätzt oder ständig bereit ist, mit aggressivem Verhalten zu reagieren und sich dieses Verhalten in ungehemmtem Angriff äußert.

Nach den bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen gibt es verschiedene Ursachen für gefährlich-aggressives Verhalten bei Hunden.

 

Aggressives Verhalten durch Zucht

 

Grundsätzlich ist es möglich, durch entsprechende Zuchtauswahl die angeborene Bereitschaft zur Aggressivität beim Hund zu steigern. Im Extremfall ist die Reizschwelle zur Auslösung aggressiven Verhaltens soweit gesenkt, dass die Tiere immerzu bereit sind, anzugreifen. Diese erblich bedingte Verhaltensstörung ist jedoch nach den bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen noch sehr selten und auf bestimmte Zuchtlinien begrenzt.

 

Erworbenes aggressives Verhalten

 

Aggressives Verhalten kann durch gezielte Abrichtung auf Artgenossen bzw. auf den Menschen ausgelöst werden. Diese Verhaltensstörung wird durch eine unzureichende Sozialisation infolge von mangelndem positiven Kontakt mit Artgenossen oder Menschen gefördert.

Weitere Ursachen für erworbenes überaggressives Verhalten können in den frühen Entwicklungsphasen von Hunden liegen. Durch fehlerhaftes Verhalten des Halters dem Hund gegenüber lernt dieser nicht, Umweltsituationen richtig einzuschätzen. Ihm fehlt die soziale Sicherheit, er wird zum Angstbeißer. Ebenfalls auf fehlerhaftes Verhalten des Menschen ist es zurückzuführen, wenn der Hund nicht rechtzeitig seinen Platz in der sozialen Rangordnung kennenlernt. Er versucht dann immer wieder, durch aggressives Verhalten dem Menschen gegenüber seine Rangposition zu verbessern.

Letztlich dürfen als Ursache für die umweltbedingte erhöhte Aggressivität die tierwidrigen Haltungsbedingungen in engen Zwingern oder an Ketten nicht unerwähnt bleiben. Die fehlende menschliche Zuwendung, oft verbunden mit negativen Erfahrungen mit Menschen, die die hilflose Situation der Tiere ausnutzen und sie reizen und necken, macht solche Hunde, lässt man sie plötzlich frei laufen, aggressiv.

Es zeigt sich also, dass negativ-aggressives Verhalten von Hunden auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden muss. Diese können in der Zucht, Haltung und Erziehung des Hundes liegen und im Prinzip jeden Hund betreffen.

Den Begriff Kampfhunde gibt es im kynologischen Sprachgebrauch nicht. Nach Auffassung des VDH gibt es keine sogenannte Kampfhunderassen, sondern einzelne gefährliche Hunde, unabhängig von Rassezugehörigkeit und unabhängig, ob Rassehund oder Mischling. Es gibt keinerlei wissenschaftliche Studien, die eine abnorme Gefährlichkeit der unter den Begriff der Kampfhunde aufgeführten Rassen belegen.